Im Angesicht der Bären

Ein Fotograf von National Geographic sagte einmal, Alaska sei nicht einfach ein Land, Alaska müsse man fühlen und erleben. Und wir haben es gefühlt und erlebt: Alaskas atemberaubende Schönheit, Wildnis, Rauheit und Härte.

Wetterbedingt flogen wir mit Verspätung in Homer ab, zum Teil in dichtem Nebel. Nach der Landung sagte der Pilot zu uns: «Don’t try this at home». Wir wissen nicht, ob sich das auf den Blindflug in den Wolken oder auf die perfekte Landung am seitlich abfallenden Strand bezog …

Blick auf die Umgebung und den Mount Douglas. Das Camp ist kaum zu sehen: Wenn man ein Raster über das Bild legt mit zwei horizontalen und drei vertikal Linien (je gleichmässig verteilt), befinden sich die vier Zelte auf der nach Links schauenden kleinen Landzunge, ungefähr wo sich die unterste horizontale und die sich am weitesten rechts befindende vertikale Rasterlinie kreuzen. Da wo es ein bisschen wie ein auf dem Kopf stehendes Herz aussieht.

Vor Ort wartete unser Guide Chase und seine Freundin Hailey auf uns. Aber waren wir wirklich an der Hallo Bay gelandet, wo wir meinten zu landen? Nein, waren wir nicht. Dort sei es inzwischen viel zu touristisch. Wir sind irgendwo im Nirgendwo in der Wildnis der Kamishak Bay.
Die Zelte stehen direkt vor einem kleinen Meerausläufer, dahinter Grasfelder und der mächtige Mount Douglas, ein mit Gletschern und Schnee überzogener, aktiver Vulkan. Feuer und Eis vereint.

Direkt vor dem Camp. Im Hintergrund Wiesen mit Bären und die Bergkette mit Mount Douglas

Bereits beim Aussteigen aus dem Flieger sahen wir die ersten Bären. Wir hörten bald auf, die Sichtungen zu zählen – die Bären sind hier überall. Es gab kaum Zeiten, in denen wir vom Camp aus keine sahen.

Kaum angekommen, zog ein Sturmwind auf, der für die nächsten 1.5 Tage auch so blieb. Chase meinte, solche Sturmwinde gäbe es hier pro Saison normalerweise an fünf Tagen. Es war kalt, neblig, feucht (wenn auch glücklicherweise ohne richtigen Regen). Und die erste Nacht wegen des Flattern der Zelte im Wind fast ohrenbetäubend laut.

Noch so ganz unter uns: Als Frau draussen in die Hocke zu gehen ist schon bei guten Bedingungen eine Herausforderung – die Leserinnen unter euch wissen, wovon ich rede. Das Ganze aber bei Sturmwind und im Angesicht von 9 Bären zu erledigen … kein Kommentar. Das WC bestand aus einer Schaufel, mit der man unter der Flutlinie am Strand ein Loch graben und nach dem Geschäft wieder zuschaufeln musste.

Täglich unternahmen wir Wanderungen, um die Bären noch besser beobachten und erleben zu können. Was wir alles sehen und erleben dürfen ist unbeschreiblich. Da stand man plötzlich in Mitten von 13 grasenden, schlafenden, sich paarenden, friedlichen, riesigen Braunbären. Wir konnten hören, wie sie das Gras abrissen und schmatzend vertilgen. Oder dann schaute plötzlich noch ein Wolf hinter einem Hügel hervor, kam herab und trottete an uns vorbei. Kanadakraniche landeten auf den Wiesen zwischen den Bären, und Weisskopfseeadler und Fuchs schauten auch vorbei.

Dreimal kam es vor, dass ein oder mehrere Bären von sich aus sehr nahe (zu nahe) an uns heran kamen. Dann hiess es jeweils, in eine Reihe zu stehen, unbeteiligt schauen und ruhig zu warten, bis der Bär weiter zog. Das kann 5 Minuten oder 1 Stunde dauern oder leider auch gar nicht funktionieren.

Er hat sich gut verhalten und trottete, ohne sich gross für uns zu interessieren, max. 15 Meter an uns vorbei. Die Bären graben bei Ebbe nach Muscheln.

Als wir am Abreisetag noch mit Tagestouristen unterwegs waren, war ein junger Bär zu neugierig und das Verhalten seiner Mutter widersprüchlich. Lautes, bestimmtes Reden, sich gross machen und Aufstampfen der nun zwei Guides beeindruckte diese Beiden nur kurzfristig. Die Mutter war ca. 4m von den Guides entfernt, das Junge 2m, und wir weitere 2m hinter den Guides. Zack hatte die Schrotflinte im Anschlag, und Chase zündete schliesslich eine «Bear Flare» – eigentlich eine Marine-Notfackel oder handelsübliche Fussballfan-Pyro. Das nützte und die beiden rannten davon. Uff …
Ob das Verhalten der beiden Bären wohl an der grösseren und somit unkontrollierbareren Gruppe gelegen hat? Auf jeden Fall haben wir nun auch zwei «Bear Flares» gekauft. Ist auf jeden Fall besser als der Bärenspray.

So nett sie aussehen – die beiden kamen uns auf eine unvorteilhafte Weise viel zu nahe

Nach einer weiteren Nacht in Homer sind wir nun auf einem schönen Campingplatz am Stoney Creek nahe Seward.

Im Titelbild ist übrigens die «Sunshine Gang» zu sehen – drei bald erwachsene Junge ohne Mutter. Sie werden es wohl schaffen, sie sehen sehr gesund und wohlgenährt aus.

Dieser schöne Wolf schaute bei unserem Camp vorbei

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